300-Jahr-Feier in Tranquebar: Einhelliges Lob fuer Wirken des ersten lutherischen Missionars Seminar und internationale Konsultation diskutieren Missionsaufgaben der Vergangenheit und der Postmoderne
Chennai (Indien)/Genf, 19. Juli 2006 (LWI) - Im Rahmen eines eintaegigen Seminars und einer zweitaegigen Konsultation, die im Rahmen der 300-Jahr-Feier in Chennai (Indien) am 4. beziehungsweise 5. und 6. Juli stattfanden, wurde das Wirken von Bartholomaeus Ziegenbalg, des ersten evangelischen Missionars in Indien, gewuerdigt.
300 KirchenleiterInnen, Delegierte und WissenschaftlerInnen, darunter 100 internationale Delegierte unter Leitung von Bischof Mark S. Hanson, Praesident des Lutherischen Weltbundes (LWB), und LWB-Generalsekretaer Pfr. Dr. Ishmael Noko nahmen an den Feierlichkeiten teil, die vom 3. bis 9. Juli am Gurukul Lutheran Theological College and Research Institute in Chennai (Tamil Nadu/Indien) sowie in Tranquebar (tamilisch: Tarangambadi), 300 Kilometer suedlich von Chennai, stattfanden, wo der deutsche lutherische Missionar Ziegenbalg 1706 landete.
Herausragender Beitrag zur Zivilgesellschaft
In seinem Hauptreferat zum Thema "Der Beitrag der Mission von Tranquebar zur Zivilgesellschaft" hob Prof. Dr. S.P. Thyagarajan, Vizekanzler der Universitaet Madras in Chennai, vor den SeminarteilnehmerInnen die "Weitsicht" Ziegenbalgs hervor, dem es gelungen sei, die indische und europaeische Kultur miteinander in Kontakt zu bringen. Er habe einen "herausragenden Beitrag" zur Staerkung der Zivilgesellschaft geleistet und koenne als Vorbild dienen, so Thyagarajan. Der Missionar habe "den vorhandenen Religionen Wertschaetzung" entgegengebracht und "gesellschaftliche Harmonie foerdern" wollen. Zudem habe er Europa die tamilische Kultur nahe gebracht und in seinen Uebersetzungen Indiens reiches kulturelles Erbe vermittelt, stellte der hinduistische Wissenschaftler fest.
Der ehemalige Direktor der Archaeologiebehoerde des indischen Bundesstaates Tamil Nadu, Dr. Ramachandran Nagaswamy, verwies auf Ziegenbalgs Offenheit fuer den indischen Kontext in seiner Missionsarbeit. Der Missionar habe sich intensiv darum bemueht, den Menschen im Westen die reiche tamilische Kultur und Literatur nahe zu bringen. Die Missionare seiner Zeit haetten gewoehnlich Gehorsam gegenueber ihren Ansichten und Traditionen gefordert, waehrend Ziegenbalg sich zunaechst der Anstrengung unterzogen habe, Tamilisch zu lernen und sich mit der tamilischen Philosophie vertraut zu machen.
Im Blick auf den Beitrag der Mission von Tranquebar zur Bildung wies Prof. Dr. Bernard D'Sami vom roemisch-katholischen Loyola College in Chennai darauf hin, dass Ziegenbalg sein ganzes Leben dem "Streben nach wahrer Weisheit" gewidmet habe. Fuer den Missionar sei die Schule ein unerlaessliches Mittel zur Gesellschaftsentwicklung gewesen. Ziegenbalg habe einerseits die "Charakterbildung" als ein wichtiges Element der Bildung betont, zum anderen sollten ChristInnen von ihm lernen, ihre Schulen verstaerkt fuer Menschen aller Kasten und Schichten zu oeffnen, so D'Sami.
Dr. Daniel Jeyaraj, Theologe und Professor fuer Weltchristentum in Newton (Massachusetts/USA), betonte den Beitrag des Missionars zur Indologie. "Ziegenbalgs Ziel war es, die Menschen zur Selbstbestimmung zu befaehigen" und er sei auch bereit gewesen, zu diesem Zweck die Willkuer der damaligen oertlichen Herrscher anzuprangern. Aus Jeyarajs Sicht haben Missionare wie Ziegenbalg die lokale Kultur und Tradition bereichert. Sofern verbreitete Vorurteile ueber sie bestuenden, seien diese wohl auf eine mangelnde Auseinandersetzung mit ihren Leistungen zurueckzufuehren. Der besondere Wert von Ziegenbalgs Mission liege darin, dass er mit der indischen Bevoelkerung zusammengearbeitet und es ihnen ermoeglicht habe, ihre Aengste und Hoffnungen zu artikulieren.
Postmoderne Herausforderungen an die christliche Mission
Die Ansprache Bischof Hansons, Leitender Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, zur Eroeffnung der internationalen Konsultation am 5. und 6. Juli stand unter dem Titel "Postmoderne Herausforderungen an die christliche Mission". Den Vorsitz der Konsultation hatte der Stellvertretende LWB-Generalsekretaer Pfr. Chandran Paul Martin. Hanson legte dar, was unter "postmodern" zu verstehen sei, welchen Beitrag LutheranerInnen in der Tradition Ziegenbalgs zur christlichen Mission leisten koennten und mit welchen Fragen eine weitere Auseinandersetzung erforderlich sei. Ziegenbalgs Wirken in einem vormodernen Kontext "ist fuer die Aufgaben, die vor uns liegen, ein machtvolles Zeugnis", so Hanson. "Die Bezeichnung *postmodern' ist vor allem dazu hilfreich, uns bewusst zu machen, dass die Welt eine Zeit des Wandels durchlebt", so Hanson. Durch seinen Beistand fuer die tamilische Bevoelkerung Indiens habe Ziegenbalg erfahren, "was es heisst, ein Kreuzestheologe zu sein."
"Die Wurzeln dieser Kirche, die vor 300 Jahren tief eingepflanzt wurden, tragen weiter Frucht in den Lutheranerinnen und Lutheranern Indiens, die fest entschlossen sind, an Gottes Mission fuer das Leben der Welt mitzuwirken. Sie zeigen deutlich, dass der Weg des Kreuzes in Ihrem Leben Sie und das indische Volk aufruft, alle Dalits zu befreien. Ihre absolute Ueberzeugung, dass allen Dalits die Menschenrechte, ihre Wuerde und Befreiung zuteil werden muessen, ist der ganzen Welt ein Zeichen, dass in der Mitte Ihrer Nachfolge das Kreuz steht", betonte Hanson. "Als Glaubende koennen wir nicht im Dienst stehen, ohne der Gerechtigkeit nachzujagen."
In ihrem Hauptreferat zur Konsultation stellte Landesbischoefin Dr. Margot Kaessmann von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers fest, in der Gegenwart habe primaer "die Kirche, die hinausgeht und den Menschen begegnet," Relevanz. Sie betonte, dass in einem nicht nur in Deutschland, sondern auch in Indien und anderen Teilen der Welt "von rascher Saekularisierung gepraegten Umfeld", ChristInnen den Geist der Zeit zu erkennen suchen muessten. "Wir muessen die Bibel in die Sprache der saekularisierten Welt uebersetzen, damit der Glaube fuer die heutigen Menschen Sinn bekommt."
Die Kirchen muessen sich Probleme der Armen zu Eigen machen
Im Rahmen einer von fuenf Podiumsdiskussionen stellte Dr. William Stanley, Direktor von Integrated Rural Development of Weaker Sections in India (Integrierte laendliche Entwicklung der schwaecheren Gebiete in Indien) fest, dass die Kirche die Pflicht habe, "Gottes Schoepfung zu schuetzen". Schutz und Erhaltung der Umwelt muessten der Kirche ein echtes Anliegen sein. "Die Armen, Ausgegrenzten und Machtlosesten sind diejenigen, die unter von Umweltzerstoerung ausgeloesten Krankheiten und Verschmutzung am schwersten leiden", so Stanley. "Wir als Christinnen und Christen koennen eine ethische Antwort geben, [auf deren Grundlage] wir uns fuer grundsaetzliche Veraenderungen engagieren und Alternativen fuer nachhaltige Initiativen foerdern koennen."
Dr. Priscilla Singh, Referentin fuer Frauen in Kirche und Gesellschaft in der LWB-Abteilung fuer Mission und Entwicklung (AME), forderte eine verstaerkte Beruecksichtigung der Frauen im kirchlichen Leben: "Die Geschichte beweist, dass Mission nur dann erfolgreich ist, wenn sie beginnt, Frauen mit einzubeziehen", die zeitweise ohne jegliche Anerkennung als Missionarinnen taetig waren. Der Erfolg von Mission stehe haeufig auch im Zusammenhang mit ihrem vorrangigen Bemuehen, Frauen Wissen und Faehigkeiten zu vermitteln. Singh forderte die KonsultationsteilnehmerInnen auch auf, dem Beispiel Ziegenbalgs zu folgen, der Frauen die Moeglichkeit gegeben habe, ihn zu befragen und von ihm zu lernen.
Dr. K. M. Shyamprasad, Direktor des Nationalen lutherischen Ausschusses fuer Gesundheit und Medizin in Indien, stellte fest, die Kirche habe fuer die Entwicklung der Moeglichkeiten im Gesundheitsbereich Beeindruckendes geleistet. "Wir reagieren jedoch noch nicht auf den aktuellen Bedarf unseres Landes im Bereich Gesundheit". Indien habe zwar die hoechste Zahl an HIV-Infektionen weltweit, "HIV und AIDS aber auch nur anzusprechen, ist der Kirche ein Graeuel, da sie die Krankheit mit sexueller Suende gleichsetzt".
"Wird die Kirche den Mut haben, neue Wege zu beschreiten und Fortschritt zu bringen, um [die] Probleme im Blick auf Armut, Kasten- und Geschlechtszugehoerigkeit zu loesen, die dieser und vielen anderen Krankheiten Vorschub leisten?", fragte Shyamprasad.
Zum Abschluss der Konsultation bekraeftigte Dr. Kunchala Rajaratnam, Geschaeftsfuehrer des Nationalen Komitees des LWB in Indien: "Die Kirchen sollte sich die Probleme der Armen zu Eigen machen, nicht nur auf nationaler und internationaler Ebene, sondern auch in den Ortsgemeinden* Die theologischen Lehrplaene muessen angepasst werden, damit Geistliche und andere in der Lage sind, auf neue Herausforderungen reagieren."
Ziegenbalg starb am 23. Februar 1719 im Alter von 36 Jahren. Er ist in der Neu-Jerusalem-Kirche in Tranquebar beigesetzt. (1.198 Woerter)
(Dieser Artikel basiert auf Beitraegen von Anto Akkara, Korrespondent der Oekumenischen Nachrichten International - ENI, sowie ELCA News Service.)
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