[APD] Oesterreichs Aleviten wollen Anerkennung als Glaubensgemeinschaft
November (12.11.2007)
Adventistischer Pressedienst (APD)
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Oesterreichs Aleviten wollen Anerkennung als Glaubensgemeinschaft
Wien/OEeterreich. Die Aleviten in Oesterreich streben eine staatliche Anerkennung an. In Oesterreich gibt es nach Eigenschaetzung zurzeit 60.000 Aleviten, die ethnisch ungefaehr zu gleichen Teilen Tuerken und Kurden sind. Sie fuehlen sich als eigenstaendige Religionsgemeinschaft innerhalb des Islam, der von ihnen anders interpretiert wird. Wie der Generalsekretaer des Dachverbands der Aleviten in Oesterreich (Avusturya Alevi Birlikleri Federasyonu/AABF), Deniz Karabulut, anlaesslich einer Veranstaltung des Verbands katholischer Publizisten Oesterreichs (VKPOE) am 7. November in Wien mitteilte, wollen die Aleviten 2008 im Kultusamt den Antrag auf Anerkennung als "religioese Bekenntnisgemeinschaft" stellen.
Auf der VKPOE-Veranstaltung kamen neben der Lage der Aleviten auch die Probleme eines EU-Beitritts der Tuerkei zur Sprache, meldete Kathpress,
Insgesamt erlebe das Bekenntnis zum Alevitentum seit etwa zehn Jahren eine erstaunliche Renaissance, so die Informationen Karabuluts. In Deutschland und Oesterreich haetten sich sehr aktive Verbaende herausgebildet. Auch in der Tuerkei duerfe man heute Vereinigungen gruenden, die die Bezeichnung "alevitisch" tragen, was lange verboten gewesen sei.
Karabulut anerkannte zwar grosse Fortschritte in der Tuerkei im Blick auf den angestrebten EU-Beitritt, den die Aleviten durchwegs befuerworteten. Allerdings sei das Hauptproblem, das die Aleviten in ihrer Heimat haetten - der zwangsweise sunnitisch-hanefische Religionsunterricht nicht nur fuer Sunniten, sondern auch fuer Schiiten und Aleviten - nicht geloest.
Ein sehr positives Bild von den Fortschritten in der Tuerkei zeichneten der austro-tuerkische Medienmanager Josef Senel und der Wiener Projektmanager und nebenberufliche Fortbildner fuer Islam-Religionslehrer Ercuement Aytac. Senel, Absolvent des oesterreichischen St.Georgs-Kollegs in Istanbul, ortet seit etwa zwei Jahren einen rapiden Anstieg oesterreichischer Investitionen in der Tuerkei, mit einer Grossbank und einem Mineraloelkonzern als Speerspitzen. "Oesterreich wuerde von einem EU-Beitritt der Tuerkei nur gewinnen", lautet sein Resuemee. Es habe viele Verbesserungen im Rechtswesen und Menschenrechtsbereich gegeben, und bis zu einem tatsaechlichen Beitritt in fruehestens zehn Jahren werde das Land alle von der EU geforderten Standards erreicht haben.
Aytac uebte Kritik an der abwertenden Sprache der "Europaeer" der Tuerkei gegenueber. Immerhin fuehlten sich die Tuerken schon seit Atatuerk als Europaeer. Viele saehen sich jetzt aber vor den Kopf gestossen. Sie haetten den Eindruck, die EU wolle ihnen gegenueber die Latte hoeher legen als etwa Rumaenen und Bulgaren gegenueber.
Im Gespraech wurde betont, dass in den Glaubensvorstellungen der Aleviten auch vorislamische Aspekte eine grosse Rolle spielen. Ihr Glaube ist stark vom Sufismus (der mystischen Stroemung im Islam) beeinflusst und weist zahlreiche Beruehrungspunkte mit dem Christentum und dem Zoroastrismus auf. Der Kult der Aleviten - in eigenen Versammlungshaeusern (Cemevi) und nicht in Moscheen - ist durch Musik und Tanz beider Geschlechter ausgezeichnet. Das Alevitentum kennt keine Pflichtgebete und auch keinen besonderen Raum und keine besondere Zeit fuer das Gebet.
Als Religionsgruppe sind die Aleviten nicht homogen, da es in den einzelnen Laendern unterschiedliche Stroemungen gibt und das Alevitentum keine zentrale Organisation hat. Der Ursprung des alevitischen Glaubens liegt in der Fruehzeit des Islam, die von der Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten gekennzeichnet war. Die Verehrung Alis - des ermordeten Schwiegersohns Mohammeds - ist Aleviten und Schiiten gemeinsam, unter den Aleviten aber noch staerker ausgepraegt.
Ab dem 16. Jahrhundert haben sich innerhalb der Bewegung zwei grosse Stroemungen gebildet, die auch fuer das gegenwaertige Alevitentum charakteristisch sind: auf der einen Seite der Glaube in den staedtischen Gemeinschaften, repraesentiert durch den Orden der Bektashi; auf der anderen Seite die weniger organisierte Religionsbewegung auf dem Land, die "Dorfaleviten".
Mit den Reformen Atatuerks ging 1925 ein Verbot der Derwischorden einher. Der Staat beschlagnahmte ihr Vermoegen, und die Sitze der Sufi-Gemeinschaften wurden in Museen verwandelt. Der alevitische Glaube blieb jedoch im Untergrund - und in vielen Dorfgemeinschaften fernab jeglicher staatlicher Kontrolle - erhalten. Das Verbot von 1925 ist auch heute noch aufrecht, wird allerdings kaum noch kontrolliert. "Dorfaleviten" von orthodoxen Muslimen zu unterscheiden ist verhaeltnismaessig leicht, weil die Frauen zum Grossteil unverschleiert sind.
Das Kultusamt im Bundesministerium fuer Unterricht, Kunst und Kultur hat aufgrund des Bundesgesetzes ueber die Rechtspersoenlichkeit von religioesen Bekenntnisgemeinschaften (BGBI) von 1998 folgenden zehn Gruppierungen die Rechtspersoenlichkeit einer "religioesen Bekenntnisgemeinschaft" zuerkannt (Stand 2006): den Bahá'ì, dem Bund der Baptistengemeinden, dem Bund evangelikaler Gemeinden, der Christengemeinschaft (Anthroposophen), der Freien Christengemeinde/Pfingstgemeinde, der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, den Zeugen Jehovas, der Hinduistischen Religionsgesellschaft, der Mennonitischen Freikirche, der Pfingstkirche Gemeinde Gottes. Die Aleviten waeren die elfte sogenannte Bekenntnisgemeinschaft.
Die Bekenntnisgemeinschaften bilden eine Art Vorstufe zum Status einer gesetzlich anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft. Bis heute hat nur die 1998 als Bekenntnisgemeinschaft anerkannte Koptisch-Orthodoxe Kirche unter staatsrechtlich fragwuerdigen Umstaenden ? unter Zuhilfenahme des Orientalisch-orthodoxen Kirchengesetzes von 2003 ? den Weg zu den gesetzlich anerkannten Kirchen gefunden.