[APD] Kirchen zur Diskussion um Sterbehilfe-Organisation Dignitas in der Schweiz
November (21.11.2007)
Adventistischer Pressedienst (APD)
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Kirchen zur Diskussion um Sterbehilfe-Organisation Dignitas in der Schweiz
Bern/Schweiz. Die Meldung, dass die Schweizer Sterbehilfe-Organisation "Dignitas" zwei Maennern in einem Auto auf einem Parkplatz Sterbehilfe geleistet hat, loeste europaweit ein enormes Medienecho aus. "Dignitas" will in Deutschland einen Praezedenzfall schaffen - Widerstand waechst auch in der Schweiz.
Die vorwiegend politische Debatte gibt den Schweizer Kirchen Gelegenheit ihre Positionen oeffentlich zum Ausdruck zu bringen. Hinzu kommt, dass die Errungenschaften der modernen Medizin die Entscheidungen im Hinblick auf den Dienst an Sterbenden noch schwieriger gemacht haben.
So betonte der Abt der Schweizer Benediktinerabtei St. Otmarsberg (Uznach) in einem Gespraech mit Journalisten, dass "nur die absolute Norm der Unantastbarkeit des Lebens den Einzelnen gegenueber Dritten, aber auch vor sich selbst, zu schuetzen vermag". Woertlich meinte der Abt im Hinblick auf die momentan in der Schweiz heftig gefuehrte Diskussion um die "Beihilfe zum Selbstmord": "Das Verhaengnis beginnt nicht erst bei der Illusion, den massenhaften Selbstmord objektiv regeln zu koennen, sondern bei der Akzeptanz des organisierten Selbstmords im allgemeinen Denken der Leute. Auch eine hoechstrichterliche Instanz und ein Volk, das Gesetze erlaesst, sind fehlbar".
Schweizer Bischoefe lehnen "Beihilfe zum Suizid" klar ab
Die Schweizer katholischen Bischoefe verweisen indes auf die ausfuehrliche und detailreiche Kritik an der Schweizer Sterbehilfe-Praxis, wie sie sie in ihrem Pastoralschreiben Nr. 9 unter dem Titel "Die Wuerde des sterbenden Menschen" bereits im Jahr 2002 dargelegt haben. Darin unterscheiden die Bischoefe zunaechst deutlich zwischen den verschiedenen Formen der Sterbehilfe. Ethisch zulaessig seien den Bischoefen zu Folge sowohl die auf eine ausdrueckliche und rechtlich korrekte Patientenverfuegung zurueckgehende "passive Sterbehilfe", die den Tod des Patienten durch Behandlungsabbruch oder -verzicht in Kauf nimmt, sowie die "indirekte aktive Sterbehilfe", bei der die lebensverkuerzende Wirkung durch eine intensive medikamentoese Symptom- oder Schmerzbehandlung in Kauf genommen wird.
Klar abgelehnt wird durch die Bischoefe hingegen jede Form der "direkten aktiven Sterbehilfe" sowie der "Beihilfe zum Suizid", wie sie beispielsweise durch "Dignitas" geleitet wird. Der fuer die rechtliche Regelung des Tatbestandes der Suizidbeihilfe zustaendige Art. 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches stelle eine "veraltete Strafgesetzgebung" dar, die den Unterschied zwischen dem Tatrechtsbestand der "Beihilfe zum Suizid" und der "Toetung auf Verlangen" verwischt. So biete der Artikel den Bischoefen zu Folge "eine Moeglichkeit der Straffreiheit" auch bei Toetung auf Verlangen, wo es gelingt, den Ausschluss "selbstsuechtiger Beweggruende" nachzuweisen.
Zu verurteilen sei die Praxis der Suizidbeihilfe weiterhin aufgrund weitreichender "sozialethischer Konsequenzen", so die katholischen Schweizer Bischoefe. Woertlich heisst es in dem Pastoralschreiben: "Wir erinnern an den Nachahmungseffekt und an die moeglichen Folgen der Publikation von Freitod-Anleitungen. Eine verbreitete Suizidpraxis traegt auch zur Banalisierung des Todes bei. Sie leistet einer irrigen Ideologie menschlicher Selbstbestimmung Vorschub und zeugt von einer oberflaechlichen Lebensauffasung, die auftretenden groesseren Schwierigkeiten durch Beendung des Lebens aus dem Weg gehen will. Schwer behinderte Menschen sehen sich vor die Frage gestellt, ob sie sich nicht lieber umbringen sollten, statt wie bisher grosse Mittel einsetzen zu lassen, um ihr Weiterleben einigermassen zu erleichtern."
Die Erfahrungen in den Niederlanden haetten ausserdem gezeigt, dass es immer wieder zu gravierenden Problemen bei der Durchfuehrung aerztlicher Suizidhilfe gekommen sei.
Schweizer Protestanten beziehen Stellung zur Sterbehilfe
Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) meldet nun Kritik an. "Sterbewillige werden zum Instrument einer politischen Debatte", heisst es in einer Presseaussendung. Der Rat des SEK beschaeftige sich seit einiger Zeit mit den Fragen rund um das Sterben. Fuer den 22. November hat der SEK die Veroeffentlichung einer Studie mit dem Titel "Das Sterben leben" angekuendigt, die sich mit den Entscheidungen am Lebensende aus evangelischer Sicht auseinandersetzt und klare Positionen aufzeigt.
Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes hatte bereits im Dezember 2005 anlaesslich der Gruendung des "Dignitas"-Ablegers in Deutschland klare Worte gegen die Aktivitaeten von "Dignitas" formuliert. Dabei wies der SEK-Rat auf die Unveraeusserlichkeit der Menschenwuerde hin, die unabhaengig vom Zustand und den Eigenschaften einer Person gelte. Diese schliesse den unbedingten Respekt vor den Leiden, AEngsten und der Verzweiflung jedes Menschen ein und nehme auch einen daraus resultierenden Sterbewunsch ernst. Aus christlichethischer Perspektive seien im Rahmen der Beihilfe zum Suizid vier Punkte zu bedenken: 1. Es kann kein Recht auf Sterbehilfe geben. 2. Sterbehilfe darf niemals zu einem (sozial oder gesundheits) politischen Instrument oder einer Alternative zur Sterbebegleitung werden. 3. Angesichts unertraeglicher Schmerzen und Leiden versagt jedes <theoretische> oder prinzipielle Urteil. Das gilt in beide Richtungen, hinsichtlich der Bestreitung des Wunsches nach Sterbehilfe genauso wie im Hinblick auf seine Legitimation. 4. Die Frage der Sterbehilfe verweist auf eine Gewissensentscheidung der und des Einzelnen, die nicht delegiert werden kann und darf. Daher ist die Wuerde der Person mit dem Sterbewunsch, der Angehoerigen und der Beteiligten unbedingt zu schuetzen.
Ein klares Votum gegen jede Form aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid formuliert auch die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in der Schweiz. Der "Dienst an Sterbenden" bestehe nicht in der "Hilfe zum Selbstmord" oder in der Interpretation des "barmherzigen Toetens"; vielmehr muesse jede Form palliativer Versorgung des Patienten zur Schmerz- und Leidenslinderung sichergestellt werden, heisst es in einer weltweit gueltigen Konsenserklaerung der Adventisten ueber die Betreuung Sterbender.
Schweizer Recht kennt vier Rechtsbegriffe
Das Schweizer Recht unterscheidet vier Begriffe: Die "direkte aktive Sterbehilfe" sowie die Toetung eines Menschen auf Verlangen sind auch in der Schweiz verboten und stehen unter Strafe. Unter den Begriff der "indirekten aktiven Sterbehilfe" faellt beispielsweise die Verabreichung eines Medikaments zur Schmerzlinderung bei Inkauf-Nahme des eventuellen beschleunigten Todes des Patienten. Solche Massnahmen gelten grundsaetzlich nicht als strafbar. Die am haeufigsten in der Schweiz praktizierte Form der Sterbehilfe ist die "passive Sterbehilfe". Gemeint ist damit der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen oder deren bewussten Abbruch auf Wunsch des Patienten. Sie ist in den meisten Faellen straflos, in jedem Fall immer dann, wenn die Einwilligung der betroffenen Person vorliegt. Der "Dienst" von "Dignitas" faellt unter die Bezeichnung der "Suizidbeihilfe" und ist rechtlich von der Sterbehilfe unterschieden, da die aktive Handlung bei der betreffenden Person selbst liegt. Strafbar ist sie nur in dem Fall, wo "selbstsuechtige Motive" nachweisbar sind.
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