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FEATURE: Einen Neuanfang wagen
- Auf dem Hoehepunkt der Gewalt, die Kenia nach den Wahlen im Dezember 2007 erfasste, wurde Chris Lutherische Bischoefe in Kenia: Ungerechtigkeiten beim Namen nennen
Nairobi (Kenia)/Genf, 18. Februar 2008 (LWI)tine Musyoki, Mutter von sechs Kindern, aus ihrem Haus in Kibera, einem Vorort der Hauptstadt Nairobi, vertrieben. Mehrere Tage lang suchte die Gemuesehaendlerin, wie Tausende anderer Binnenvertriebener in Kenia, Zuflucht im Jamhuri Park der Stadt, wo humanitaere Organisationen Nothilfe durch das Kenianische Rote Kreuz leisteten.
Musyoki, die mittlerweile wieder nach Kibera zurueckgekehrt ist, erinnert sich: âSie [wuetende Massen] stuermten in unser Haus und verlangten, dass wir sofort gehen sollten. Ich habe versucht, mit ihnen zu verhandeln, doch sie drohten, mich und meine Kinder umzubringen. Sie warfen mir vor, ich haette bei den Wahlen nicht fuer sie gestimmt. Ich musste gehen und alles zurueckgelassen. Sie haben mein ganzes Haus gepluendert.â
Jetzt stellt sich Musyoki die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Recht der WaehlerInnen und dem Leiden, das sie erfahren musste. âMeine Kinder haben jetzt sehr wenig zu essen, und ich muss nun von Ort zu Ort ziehen. Sogar in den Kirchen muss ich nachfragen, um Nahrung aufzutreiben. Ich kann Kibera nicht verlassen. Hier habe ich mein ganzes Leben verbracht.â
Nicht weit von Musyokis Haus lebt Teresia Anyango, die bis zur juengsten politischen Krise selbststaendig war und ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Perlen an ihrem provisorischen Stand verdiente. Heute hat sie mit den Auswirkungen von alldem zu kaempfen, was fuer sie nichts als kriminelle Handlungen sind, ausgefuehrt von gesetzlosen jungen Maennern unter dem Vorwand politischer und ethnischer Zugehoerigkeiten. âMein Leben ist auf den Kopf gestelltâ, sagt die zweifache Mutter, die zusammen mit anderen AnwohnerInnen Hilfe durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Kenia (ELKK) erhaelt, die eine Gemeinde in Kibera hat.
Verbrannte Kirchen
Die Zerstoerung ist eklatant im weitlaeufigen Kibera, das als das groesste Slumgebiet der Stadt gilt. Etwa eine Million Menschen leben dort. Die lutherische Kirche âSprings of Lifeâ der ELKK war eine der Kirchen in der Gegend, die in Brand gesteckt wurden. Es stehen nur noch die Grundmauern, wie auch die vom angrenzenden Krankenhaus, das erst vor drei Monaten renoviert wurde, um kostenlose medizinische Versorgung fuer Gemeindemitglieder zu leisten.
Mitglieder der Gemeinde, die Zeugen des Brandes waren, berichten, sie haetten versucht, mit einem Mob von fast 50 jungen Maennern zu verhandeln und gefleht, das Gotteshaus zu verschonen. Aber die Rowdys blieben hart - sie wollten keine Kirche in dieser Gegend sehen. âWir waren etwa zehn Kirchenmitglieder - aber sie ueberwaeltigten unsâ, erinnert sich Caleb Oliech. âSie pluenderten, was sie als wertvoll ansahen, bevor sie dann das Gebaeude in Brand steckten.â
Obwohl in Kibera und anderen Landesteilen, die nach der Wahl von Gewalt betroffen waren, wieder relative Normalitaet eingekehrt ist, bleibt es eine grosse Herausforderung, nach den Auswirkungen der einen Monat andauernden politischen Krise einen Neuanfang zu wagen. Noch immer gibt es Spannungen und Sicherheitsprobleme in einigen Landesteilen. Nach Angaben des Kenianischen Roten Kreuzes sind 1.000 Menschen zu Tode gekommen und mehr als 300.000 wurden bei den gewaltsamen Ausschreitungen vertrieben, die nach den Praesidentschaftswahlen am 27. Dezember 2007 ausgebrochen waren. Der amtierende Praesident Mwai Kibaki (Partei der Nationalen Einheit - PNU) wurde zum Wahlsieger erklaert, aber Oppositionsfuehrer Raila Odi nga (Orange Demokratische Bewegung - ODM) erklaerte im Gegenzug, dass die Wahl manipuliert worden sei. Viele WahlbeobachterInnen betonen, dass es Unregelmaessigkeiten bei der Auszaehlung der Stimmen gegeben habe.
In der beispiellosen Welle von Vergeltungsmassnahmen in einigen Regionen wurden Menschen, die fuer AnhaengerInnen von rivalisierenden ethnischen und politischen Gruppen gehalten wurden, brutal umgebracht, hauptsaechlich von Gangs junger Maenner, ausgeruestet mit Macheten und anderen zu Waffen umfunktionierten Gegenstaenden. Haeuser und Besitz wurden gepluendert und niedergebrannt, genauso wie Kirchen und Schulen. Einer der schrecklichsten Vorfaelle ereignete sich Anfang Januar, als eine Gruppe von fast 50 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannte. Die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder einer ethnischen Gemeinschaft, die in der Kirche âAssemblies of Godâ in Kiambaa, einem Dorf ausserhalb der Stadt Eldoret in der Provinz Rift Valley, Zuflucht gesucht hatte. Einige Todesfaelle werden auch dem Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei zugerechnet. In offiziellen Verlautbarungen betonen die Polizeikraefte allerdings, dass diese Einsaetze gegen protestierende Kriminelle gerichtet gewesen seien.
Hoffnung
Hoffnungszeichen gibt es in dem zur Zeit stattfindenden Vermittlungsprozess zwischen PNU und ODM, gefuehrt vom ehemaligen Generalsekretaer der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Er beinhaltet einen Vier-Punkte-Plan zur sofortigen Beendigung der Gewalt sowie Massnahmen zur Bewaeltigung der humanitaeren Krise und zur erfolgreichen Beendigung der politischen Krise. Es werden auch laengerfristige Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut und Landreformen angesprochen.
Obwohl Kenia bereits in der Vergangenheit gewalttaetige Zusammenstoesse zwischen Menschen verschiedener Volksgruppen erlebt hat, betonen leitende Kirchenvertreter, unter ihnen auch Leiter von Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB), uebereinstimmend, dass Spannungen und Gewalt mit dieser Wahl zugenommen haetten. Sie rufen die beiden Parteien PNU und ODM auf, die Streitigkeiten ueber die Wahl zu loesen, ohne das Leben der BuergerInnen zu beeintraechtigen, und eine Loesung mit gewaltfreien Mitteln zu suchen. Ausserdem wollen sie, dass wichtige Themen wie eine neue Verfassung, Landrechte, die wachsende Schere zwischen Reich und Arm sowie Arbeitslosigkeit aufgegriffen werden.
âIn der momentanen Krise geht es um die manipulierten Wahlergebnisse, sie hat aber auch alte Probleme wieder zum Vorschein gebracht, zum Beispiel die Landverteilung, Korruption und anderes. Die Situation hat Bitterkeit in den verschiedenen Gruppen hervorgerufen, die nun diejenigen attackieren, die augenscheinlich Kibaki unterstuetzenâ, sagt ELKK-Bischof Walter Obare Omwanza.
Wiederaufbau von Beziehungen
Obare, dessen Kirche auch Gemeinden in der Provinz Nyanza und in westlichen Provinzen hat, berichtete, die Spannungen auf Gemeindeebene, die sich nach den Wahlen aufgebaut haetten, koenne man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ein Treffen von Pfarrern der ELKK in Nairobi Anfang Februar befasste sich mit diesem Thema. âIn meiner Kirche gibt es jetzt grosse Spannungenâ, so Obare. âBeziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher ethnischer Zugehoerigkeit - alle Mitglieder von ELKK-Gemeinden - sind sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Es gibt Pfarrer, die Angst haben, wieder zurueck in diese Gebiete zu gehen und dort zu arbeiten. Wir muessen sehr viel Versoehnungsarbeit leisten. Aber ich bin auch ermutigt, weil wir bei unserem Treffen sehr offen miteinander sprechen konntenâ, bemerkt er.
Bischof Zachariah W. Kahuthu von der Kenianischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (KELK) berichtete, dass die Auswirkungen der Gewalt immer noch spuerbar seien, obwohl die Spannung in Gegenden der KELK, vorwiegend im oestlichen und noerdlichen Teil der Stadt einschliesslich Mathare, einer weiteren grossen Slumgegend, abgeebbt sei.
Gerechte Verteilung von Ressourcen
Hinsichtlich der Gr uende fuer die Gewalt erklaert Kahuthu, dass âStaemme und politische Parteien nur als Entschuldigung benutzt wurden. Es geht hier nicht um Hass zwischen den Staemmen, sondern darum, wer was besitzt. Es geht um die gerechte Verteilung von Ressourcenâ, so der KELK-Bischof.
Die beiden lutherischen Bischoefe stehen dem von Kofi Annan gefuehrten Versoehnungsprozess optimistisch gegenueber, aber Kirchenleiter muessten auch âweiterhin Druck auf die politisch Verantwortlichen ausueben, damit diese alles gebenâ, betonte Kahuthu.
Die Rolle der Kirchen bei der Versoehnung auf Basisebene sei ebenso wichtig fuer den Aufbau eines langfristigen Friedens, so Obare. âEs ist offensichtlich, dass unsere Leute an der Gewalt beteiligt waren. Aber wir bitten sie, nicht ihre Nachbarn und Nachbarinnen anzugreifen, denn diese sind nicht die Ursache des Problems. Wir fordern sie auf, das Problem auf hoechster [politischer] Ebene loesen zu lassen.â
Zu den unmittelbaren Plaenen der ELKK gehoert die Neubestimmung eines weiterfuehrenden Programms fuer Friedensinitiativen, um ueber die augenblickliche politische Krise nachzudenken. Zur Umsetzung sollen Seminare auf nationaler und lokaler Kirchenebene sowie auf Basisebene stattfinden, zu denen Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen eingeladen werden. (1.223 Woerter)
(Ein Beitrag von LWI-Korrespondent Fredrick Nzwili in Nairobi.)
*Die Unterstuetzung der Kirchen wird durch das Kenia-Forum von ACT International (Action by Churches Together - Kirchen helfen gemeinsam) koordiniert. Dazu gehoert auch das Laenderprogramm der LWB-Abteilung fuer Weltdienst (AWD) in Kenia.
ACT International ist ein weltweites Netzwerk von Kirchen und Partnerorganisationen, die ihre Hilfsmassnahmen fuer Menschen in Not gemeinsam koordinieren. Der LWB gehoert zu den Gruendungsmitgliedern von ACT, das im Oekumenischen Zentrum in Genf angesiedelt ist.
Weitere Nachrichten zur Gewalt in Kenia nach den Praesidentschaftswahlen finden Sie auch unter: http://act-intl.org/.
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