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(LWI 11-08-2009) FEATURE: HIV und AIDS-Training mit ueberzeugenden Resultaten


From "Dirk-Michael Grötzsch" <dmg@lutheranworld.org>
Date Mon, 30 Nov 2009 22:32:47 +0100

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FEATURE: HIV und AIDS-Training mit ueberzeugenden Resultaten

LWB foerdert in Odessa flaechendeckendes HIV und AIDS-Programm
fuer Praevention und Therapien zur Eindaemmung der Pandemie

Odessa (Ukraine)/Genf, 30. November 2009 (LWI) - Die
Mittagshitze haengt schwer in dem Seminarraum des Bayerischen
Hauses in Odessa (Ukraine), aber Vitali Gorbunow haelt die 25
Maenner und Frauen auf Trab. Der Psychologe und Trainer schreitet
mit grossen Schritten durch den Raum. Er redet mit Haenden und
Fuessen, nimmt Blickkontakt zu jedem Einzelnen der um ihn herum
im Kreis sitzenden Teilnehmenden auf, scherzt, schimpft und
wischt sich dabei den Schweiss von der Stirn. “Wenn euer
Immunsystem ein Gebaeckstueck waere: Wie wuerdet ihr euch in
diesem Moment fuehlen?”, fragt der agile Mann in Jeans und
Sporthemd. Die Antworten kommen zuerst zoegerlich, dann
schneller, spontaner und schliesslich lacht die ganze Runde.
“Wie eine Mandeltorte”, sagt eine Aerztin, “ein Baiser
aus der Kindheit”, meint eine andere, “ein paar trockene
Kekse”, brummt ein Assistent. “Ich fuehle mich wie eine
cremige Kiewer Torte”, sagt eine Gynaekologin und laesst sich
ihre koestliche Vorstellung auf der Zunge zergehen.

“Diese Art des interaktiven Trainings ist in der Ukraine
bisher kaum bekannt, aber sie ist hoechst effektiv, um
verfestigte Meinungen aufzubrechen”, weiss Vitali Gorbunow aus
seiner langjaehrigen Erfahrung. “Ich hatte hier Aerzte und
Aerztinnen sowie Gynaekologen und Gynaekologinnen sitzen, die
haben infizierten Schwangeren eine Abtreibung empfohlen. Dabei
liegen die Chancen, ein gesundes Kind zu bekommen, bei ueber 90
Prozent!” Diese verkrustete Einstellung will der ehemalige
ukrainische Offizier aendern. 

HIV und AIDS sind in Odessa ein Tabuthema, obwohl sich das Virus
seuchenartig verbreitet. Seit Jahren gehoert die Rate der
Neuinfektionen zu den hoechsten in Europa ueberhaupt. Nach
offiziellen Angaben der ukrainischen Regierung waren Ende 2007
offiziell ueber 122.000 Menschen registriert, die mit HIV und
AIDS leben. Nach Schaetzungen von UNAIDS (Gemeinsames Programm
der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV und AIDS) wie auch
der ukrainischen Regierung ist jedoch von einer Gesamtzahl von
circa 440.000 Betroffenen auszugehen, rund 1,63 Prozent der
Bevoelkerung im Alter zwischen 15 und 49 Jahren. Im Jahr 2006
wurde eine Zunahme an Neuinfektionen von knapp 17 Prozent
registriert, im Jahr 2007 von rund zehn Prozent.

Gorbunow will dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Seit
acht Jahren arbeitet er zum Thema HIV und AIDS in der
Schwarzmeerstadt Odessa. Seine Ausbildung hat er 2005 bei
ExpertInnen aus Deutschland absolviert. Seitdem arbeitet er als
Trainer im Bayerischen Haus Odessa (BHO), das aufgrund der
rasanten Verbreitung des HI-Virus‘ und immens steigender Zahlen
von AIDS-PatientInnen in diesem Bereich aktiv wurde. 

Mitte 1993 wurde das BHO als Deutsches Kultur- und
Begegnungszentrum vom Bayerischen Staatsministerium fuer Arbeit,
Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit und der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gegruendet. 2001 wurde
im BHO mit Unterstuetzung der Gesellschaft fuer Technische
Zusammenarbeit (GTZ), dem Land Sachsen, dem Rotary-Club “Porta
Praetoria” aus Regensburg (Deutschland) und der Diakonie der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern das Zentrum fuer
Sozialarbeit aufgebaut. Es verwirklicht zahlreiche Projekte zur
sozialen und medizinischen Unterstuetzung der Beduerftigen sowie
HIV und AIDS-Praevention.

Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine
(DELKU) in Odessa entwickelte zusammen mit dem BHO ein
flaechendeckendes HIV und AIDS-Programm fuer Praevention und
Therapien. Die Ausbildung von SchuelerInnen und MentorInnen sowie
MultiplikatorInnen wie AerztInnen oder LehrerInnen spielt dabei
eine entscheidende Rolle beim Versuch, die Epidemie einzudaemmen.
Der Lutherische Weltbund (LWB) unterstuetzt die erfolgreichen
Trainings seit vier Jahren. 

Sexualitaet und Aufklaerung sind nach wie vor tabu

“Die Themen Sexualitaet und Aufklaerung sind in unserer
Gesellschaft nach wie vor tabu, obwohl in Odessa inzwischen weit
mehr Infektionen ueber ungeschuetzten Sexualverkehr uebertragen
werden, als ueber Drogenkonsum”, erklaert Irina Swetaschowa.
Die Koordinatorin des Trainingsprogramms der DELKU benennt vier
Gruende fuer die HIV-Epidemie in ihrem Land: “Hier herrscht
eine riesige Angst vor AIDS. Die wenigsten kennen die
Uebertragungswege, aber die meisten Menschen handeln absolut
verantwortungslos, indem sie sagen: Das geht mich nichts an.
Ausserdem foerdert der Staat praktisch keine Aufklaerung, sondern
er konzentriert sich auf die Vergabe von kostenfreien
Medikamenten.” Wer in der Ukraine HIV-positiv ist, spuert
schnell die sozialen Folgen: AerztInnen verweigern oftmals die
Behandlung, Familien wenden sich ab, LehrerInnen werfen
betroffene SchuelerInnen aus dem Unterricht, Kinder kommen in
Heime.  

Aufklaerung ist dringend notwendig, aber sie bleibt Sache
nichtstaatlicher Institutionen wie dem BHO oder aufgeschlossener
Kirchen wie der DELKU. Bischof Uland Spahlinger, dessen
lutherische Gemeinde in Odessa mit rund 250 Mitgliedern zu den
groessten des Landes gehoert, beobachtet “eine Mentalitaet der
kalten Schulter” gegenueber Hilfsbeduerftigen. “Die Kirche
ist gerade in diesem Kontext staatlicher Missachtung der sozialen
Notlage als Anwaeltin der Menschenwuerde und der Verlaesslichkeit
gefragt. Kirche muss sich einmischen. Ihre Aufgabe ist zum einen,
den Blick der Naechstenliebe auf den Hilfsbeduerftigen zu lenken.
Zum anderen muss sie ein Verstaendnis fuer die eigene
ethisch-praktische Verantwortung des Einzelnen im Alltag wecken.
Hier geht es also um Aufklaerung im weitesten Sinne”, so
Spahlinger. 

>Training mit ueberzeugenden Resultaten 

Die Diakonie-Station der Kirche bietet einen mobilen
psychosozialen Dienst fuer Betroffene von HIV und AIDS an. Das
BHO hat zeitgleich eine Hotline und mobile medizinische Hilfe
initiiert. Um das Tabuthema AIDS so schnell wie moeglich
aufzubrechen, liess die lutherische Kirche in Odessa zunaechst
Trainer wie Vitali Gorbunow und Irina Swetaschowa ausbilden, die
wiederum mehr als 4.000 LehrerInnen fuer einen
AIDS-Praeventionsunterricht schulten. Mit finanzieller
Unterstuetzung des LWB unterrichteten diese FachlehrerInnen von
November 2005 bis September 2007 alle 13- bis 17-jaehrigen
SchuelerInnen der Stadt Odessa - insgesamt 22.000. 

“Die Ergebnisse waren beeindruckend”, berichtet Irina
Swetaschowa. “Zu Beginn kannten nur 30 Prozent die Gefahren,
Infektionswege und Schutzmassnahmen, am Ende waren es 98
Prozent!” Die Zahlen ueberzeugten auch Beamte und
PolitikerInnen: AIDS-Praeventionsunterricht ist mittlerweile
fester Bestandteil des Gesundheitsunterrichts in der gesamten
Region Odessa. Die Schulverwaltung zahlt den beteiligten
LehrerInnen einen Bonus. Bei einer Presseerklaerung im Februar
2009 bedankte sich der Vorsitzende der Gebietsverwaltung fuer
Bildung in der Region Odessa, Dmitri Demtschenko, ausdruecklich
fuer das Engagement der DELKU und des LWB. “Gemeinsam haben wir
eine Basis fuer erfolgreichen Unterricht geschaffen”, so
Demtschenko. 

Fortbildung fuer AerztInnen und Pflegepersonal

Im Seminarraum des BHO sitzt inzwischen die naechste Zielgruppe:
Seit April 2009 bilden Vitali Gorbunow und seine KollegInnen
AerztInnen und Krankenschwestern aus. Jeweils 500 sollen das
Programm innerhalb eines Jahres durchlaufen. Die Teilnehmenden
sind aufgestanden. Jeder haelt ein Schild in der Hand. “Sich
unterhalten”, ist darauf zu lesen, “zusammen wohnen”, oder
“gynaekologische Untersuchung ohne Schutzhandschuhe”.
“Jetzt bildet ihr eine Reihe nach Groesse der
Ansteckungsgefahr”, sagt Vitali Gorbunow. Die MedizinerInnen
diskutieren, schieben sich hin und her und organisieren sich
schliesslich zu einem Halbkreis. 

Die ersten, einfachen Situationen sind richtig eingeordnet und
bleiben ohne Kommentar. Dass “Mehrfachverwendung medizinischer
Instrumente” in der Mitte steht, kann der Trainer jedoch nicht
fassen. “Das ist unmoeglich!” Gorbunow rauft sich die Haare.
“Jetzt habe ich zwei Tage lang so viel erklaert und du glaubst
immer noch, dass dies ein abwaegbares Risiko sei! Die Aerztin
reiht sich kleinlaut mit ihrem Schild bei “ungeschuetztem
Analverkehr” und “einer gebrauchten Spritze im Park” ein.

“Das Seminar ist hoechst interessant und aktuell”, findet
Elena Yatmanowa in der Kaffeepause. Die 37-Jaehrige leitet die
Allgemeinmedizinische Abteilung der Poliklinik im zentralen
Stadtteil Primorski. “Wir haben oft mit HIV-Patienten und
-Patientinnen zu tun”, sagt sie und wundert sich ueber manche
KollegInnen im Seminar, die wenig ueber das Virus wissen. “Das
Problem ist allgegenwaertig und es gibt genug Informationen, wenn
man sich dafuer interessiert.” Elena Yatmanowa will die
Fortbildung auf jeden Fall weiterempfehlen. “Bis Dezember werde
ich alle Leute meiner Station hierher schicken”, sagt sie.
Nebenan im Seminar fuer Pflegepersonal machen bereits zwei ihrer
Krankenschwestern mit. (1.216 Woerter)

(Ein Feature von LWI Korrespondentin Constanze Bandowski.)

Ueber die Ausbreitung der HIV und AIDS-Pandemie in Odessa und
Moeglichkeiten, dagegen vorzugehen, hat LWI Korrespondentin
Constanze Bandowski mit Dr. Vitali Nowoswitnij, Chefarzt des
Staedtischen Zentrums fuer Praevention und Kampf gegen
HIV-Infektionen und AIDS in Odessa, gesprochen. Hier finden Sie
das Interview in seinem vollen Wortlaut:
www.lutheranworld.org/News/LWI/DE/2530.DE.html 

Hier finden Sie eine Zusammenfassung der Situation sowie der
DELKU-Projekte in Odessa:
www.lutheranworld.org/News/LWI/DE/2531.DE.html 

Welt-AIDS-Tag 2009: Das Recht auf universalen Zugang zu
Praevention, Behandlung und Betreuung

Am 1. Dezember ist die lutherische Gemeinschaft weltweit dazu
aufgerufen, zusammen mit anderen das Versprechen zu halten, AIDS
zu stoppen. Der Welt-AIDS-Tag 2009 lenkt die Aufmerksamkeit auf
HIV in Zusammenhang mit Menschenrechten, insbesondere das Recht
auf universalen Zugang zu Praevention, Behandlung und Betreuung.

Die Verletzung dieser Menschenrechte treibt die Ausbreitung von
HIV voran, waehrend das Engagement fuer diese Rechte einen
Beitrag zur Bekaempfung der globalen HIV und AIDS-Pandemie
leistet und Stigmatisierung, Diskriminierung und die
Infektionsrate reduziert.

Mit dem Aktionsplan “Anteilnahme, Umkehr, Zuwendung: Kirchen
reagieren auf die HIV & AIDS-Pandemie” und dem Leitfaden
“Grace, Care and Justice” (Gnade, Zuwendung und
Gerechtigkeit) verfolgt der LWB das Ziel, in den
Mitgliedskirchen, Partnerorganisationen und der Gesellschaft
insgesamt eine offene Diskussion anzustossen und sie darin zu
unterstuetzen, der Pandemie aktiv und mutig zu begegnen.

Weitere Informationen zur Globalen HIV & AIDS-Kampagne des LWB
finden Sie auf der LWB-Webseite unter:
www.lutheranworld.org/Arbeitsfelder/HIV-AIDS/LWB-HIV_AIDS.html

>*       *       *

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft
lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden)
gegruendet, zaehlt er inzwischen 140 Mitgliedskirchen, denen rund
68,9 Millionen ChristInnen in 79 Laendern weltweit angehoeren.

Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das
ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat
der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen
Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen
in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und
interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe,
Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von
Missions- und Entwicklungsarbeit.

Die LUTHERISCHE WELT-INFORMATION (LWI) wird als
Informationsdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB)
herausgegeben. Veroeffentlichtes Material gibt, falls dies nicht
besonders vermerkt ist, nicht die Haltung oder Meinung des LWB
oder seiner Arbeitseinheiten wieder. Die mit “LWI”
gekennzeichneten Beitraege koennen kostenlos mit Quellenangabe
abgedruckt werden. 


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