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Ein Aufruf zur Umkehr
From
Sheila MESA <smm@wcc-coe.org>
Date
05 Jun 1998 04:45:48
Oekumenischer Rat der Kirchen
Fuenfzigjaehriges Bestehen des OeRK
und Achte Vollversammlung
Feature-Reihe Nr. 7
5. Juni 1998
EIN AUFRUF ZUR UMKEHR
von Miriam Reidy
Die ™kumenische Dekade "Kirchen in Solidarit„t mit den Frauen" geht
ihrem Ende entgegen. Ihr Ziel war es, Mentalit„ten und Strukturen zu
ver„ndern. Inwieweit hat sie dies erreicht, und wie werden diese
Bemhungen ber 1998 hinaus fortgesetzt werden?
Nachdem er die ™kumenische Dekade ins Leben gerufen hat, bietet der
™kumenische Rat der Kirchen (™RK) den Frauen nun Gelegenheit, Bilanz
zu ziehen. W„hrend eines viert„gigen Festivals in Harare (Simbabwe),
unmittelbar vor der Vollversammlung, die im Dezember in derselben Stadt
stattfindet, werden sie sich mit mit diesen Fragen besch„ftigen k”nnen.
Sie werden auch Gelegenheit haben, ber die Einwirkung der Dekade
auf ihr eigenes Leben nachzudenken, ihre Visionen fr die Kirche und
die Gesellschaft ber 1998 hinaus zu formulieren und ber ihre
Schwierigkeiten und ihr Engagement in der Kirche zu sprechen.
Die Dekade begann zu Ostern 1988 -drei Jahre nach dem Ende der
UN-Frauendekade. Rund 40 000 Frauen, die 1985 an der Konferenz und
an dem parallel dazu veranstalteten NGO-Forum zum Abschluss der
UN-Dekade teilgenommen hatten, kamen berein, dass die UN-Dekade die
Lebensbedingungen der Mehrzahl der Frauen nicht wesentlich ver„ndert
hatte. Tats„chlich hatte die 1985er UN-Erhebung ber die Lage der
Frauen in 70 L„ndern ergeben, dass es Frauen fast berall schlechter
ging als zehn Jahre zuvor! Der ™RK hatte Vertreterinnen zu dem
NGO-Forum entsandt, die ihre Eindrcke und Informationen mit anderen
kirchlich verbundenen Frauen
austauschten. Sie alle stellten bereinstimmend fest, dass die UN-Dekade
die Kirchen kaum berhrt hatte.
Das Frauenprogramm des ™RK fhrte daher nach Nairobi eigene
Untersuchungen ber den Status der Frauen in 105 Mitgliedskirchen in 74
L„ndern durch. Sie best„tigten, dass Frauen -die ber die H„lfte der
kirchlichen Mitgliedschaft ausmachen -im allgemeinen nach wie vor
"traditionelle" Positionen und Rollen in den Kirchen innehaben und dass
traditionelle Einstellungen gegenber Frauen patriarchale Kulturen
widerspiegeln und diese gleichzeitig rckverst„rken.
Konnten die Kirchen dort, wo die UNO versagt hatte, mehr erreichen?
šberzeugt davon, dass sie es zumindest versuchen sollten, rief der
™RK-Zentralausschuss im Januar 1987 zu einer ™kumenische Dekade
der Kirchen in Solidarit„t mit den Frauen auf. Dieser Beschluss hatte
seine Wurzeln in der langj„hrigen Besch„ftigung des ™RK mit
Frauenfragen. Bereits 1948 hatte der Ersten Vollversammlung des ™RK
ein Bericht ber Rolle und Status der Frauen in der Kirche vorgelegen.
1954 wurde im Rat ein Referat fr die Zusammenarbeit von Mann und
Frau in Kirche und Gesellschaft eingerichtet. Weitere H”hepunkte der
Frauenarbeit im Rat waren die internationale Pionierveranstaltung
"Sexismus in den 70er Jahren" (Berlin 1974), ein dreij„hriger
Studienprozess ber "Die Gemeinschaft von Frauen und M„nnern in der
Kirche" (1978-81) sowie die Beschlussfassung der Sechsten
™RK-Vollversammlung (1983), die Belange und Perspektiven von Frauen
zu einem zentralen Element aller ™RK-Programme zu machen.
Mit der ™kumenischen Dekade sollte den ™RK-Mitgliedskirchen ein
Rahmen angeboten werden, der es ihnen erlaubte, ihre Strukturen,
Lehren und Einstellungen zu berprfen und notfalls zu „ndern, um den
Frauen eine uneingeschr„nkte Beteiligung zu gew„hrleisten. Die
Befreiung der Frauen wurde mit dem Wegrollen des Steins vor dem Grab
Jesu verglichen, und die Kirchen waren somit aufgerufen, "den Stein
wegzurollen".
Ab Mitte der Dekade besuchten ”kumenische Teams fast alle
™RK-Mitgliedskirchen, um festzustellen, was erreicht worden war, und
um sie erneut aufzufordern, ihre Bemhungen fortzusetzen. In
Anlehnung an die Vision des Paulus von der Gemeinde in Korinth als "ein
Brief Christi, (...) geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist
des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf
fleischerne Tafeln , n„mlich eure Herzen", wurden die Teams gebeten,
sich als lebendige Briefe zu verstehen.
Insgesamt besuchten 75 Teams, d.h. mehr als 200 Frauen und M„nner
aus allen Teilen der Welt und aus allen christlichen Gemeinschaften, die
mit dem ™RK verbunden sind, nicht weniger als 330 Kirchen, 68 nationale
Kirchenr„te und rd. 650 Frauengruppen und Frauenorganisationen. Ein
solches Besuchsprogramm hatte es in der Geschichte des ™RK noch
nicht gegeben. Was haben diese lebendigen Briefe herausgefunden?
Ihr Bericht von 1997, der den Titel Lebendige Briefe tr„gt, enth„lt
begeisterte Geschichten von Solidarit„t unter Frauen und von deren
Engagement fr die Kirchen. Er beschreibt Frauen, die die "Sttzen ihrer
Kirche" sind, aktiv im spirituellen und liturgischen Leben, in Laien„mtern
und religi”sen Orden, Frauen, ohne die "das Leben der Kirchen zum
Stillstand k„me". Und er berichtet von Frauen, die alternative
Kirchenbewegungen ins Leben gerufen haben und "neue Wege gehen,
um Kirche zu sein".
Der Bericht unterstreicht die Ausdauer und Entschlossenheit von Frauen,
Unterdrckung zu berwinden, Frauen, "die daran arbeiten, die Steine
der Gewalt, des Rassismus, der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und
des Ausgeschlossenseins wegzurollen; (...) Frauen, die dem sozialen
und politischen Wandel verpflichtet sind und den Kr„ften des Todes
widerstehen". Er h„lt fest, dass viele christliche Frauen in ihrer
Zusammenarbeit mit s„kularen Gruppen "eine Kirche bezeugen, die in
den K„mpfen fr das Leben gegenw„rtig ist," und dass sie die Kirche
gleichzeitig herausfordern.
Die Dekade brachte ein enormes Reservoir von St„rke und Mut,
Ausdauer und Solidarit„t unter Frauen ans Licht. Um diese Gaben, von
denen die Kirchen h„ufig nichts ahnen, bewusst zu machen und zu
feiern, werden Tausend christliche Frauen in Harare zusammenkommen.
W„hrend des Dekade-Festivals vom 27.-30. November wird eine
Ausstellung mit dem Titel "Ihre Geschichte erinnern -Visionen fr die
Zukunft entwickeln" von Frauen erz„hlen, die einen Beitrag zur
”kumenischen Bewegung geleistet haben, und auch Ikonen von
Frauenheiligen verschiedener Traditionen zeigen. In einer der elf
"Themenhtten", in denen ein breites Spektrum von Anliegen (von
™kologie und Sch”pfung bis zur Globalisierung) aufgegriffen wird,
werden Frauen, die auf Ortsebene engagiert sind, ihre Erfahrungen mit
Hilfe von Plakaten, Broschren, Bildern, Drama, Gedichten und Musik
mitteilen k”nnen. Der Beitrag, den afrikanische Frauen in ihren Kirchen
und Gesellschaften leisten, wird mit Besuchen von Frauen bei Frauen
vor dem Festival, mit einer Plenarveranstaltung w„hrend des Festivals
und durch den von simbabwischen Frauen ausgestalteten Tagungsort
gewrdigt.
Der Bericht Lebendige Briefe hob aber auch hervor, dass vieles noch zu
tun bleibt. Wo immer die Besuchsteams hinkamen, waren die "Steine"
noch fest an ihrem Platz. Gewalt gegen Frauen, um nur einen Aspekt zu
nennen, existiert nach wie vor. Gewalt, ob physischer, wirtschaftlicher,
gesellschaftlicher, institutioneller, psychologischer oder spiritueller Natur,
"ist eine Erfahrung, die Frauen ber alle Regionen und Traditionen
hinweg verbindet". Das Thema wird jedoch selten, wenn berhaupt, von
Kirchenfhrern angeschnitten. Kirchen neigen dazu, gewaltt„tige M„nner
unbehelligt zu lassen und die Frauen am Reden zu hindern; Gewalt mit
Kultur, Armut und/oder Krieg zu entschuldigen; sie mit einer Theologie
des Opferns und Leidens zu rechtfertigen, die allein fr Frauen gilt;
Gewalt als etwas zu sehen, das nur ausserhalb der Kirche geschieht,
oder als individuelles Problem. Und die breite Mehrheit der Frauen neigt
dazu, Gewalt schweigend hinzunehmen -aus Scham, Schuldgefhl,
Angst oder Loyalit„t.
Zum erstenmal werden Frauen auf einer internationalen Tagung in einem
speziellen Hearing w„hrend des Dekade-Festivals ber ihre Erfahrungen
von Gewalt in der Kirche berichten. Sie werden ber Gewalt in
seelsorgerlichen Situationen und innerhalb der Gemeinde sprechen, ber
Gewalt, die durch kirchliche Strukturen verursacht wird, und auch
darber, dass theologische Argumente benutzt werden, um Frauen zum
Schweigen zu bringen. Die Veranstalterinnen des Festivals sind sich
bewusst, dass die Artikulation solcher Erlebnisse schmerzhaft sein
kann, und haben seelsorgerliche und mitmenschliche Begleitung
vorgesehen. Daneben wird sicherlich auch die Tatsache, dass alle dort
versammelten Frauen gerade gegen solche Gewalt k„mpfen, Trost und
Ermutigung sein. In dem Hearing soll auch ber Initiativen berichtet
werden, die bereits zu Ver„nderungen gefhrt haben.
Die "Steine" Rassismus und wirtschaftliche Ungerechtigkeit, so der
Bericht Lebendige Briefe, machen das Leben von Frauen vielerorts
unertr„glich; manche Kirchen seien in dieser Situation eine grosse Hilfe,
andere versagten j„mmerlich, heisst es weiter. Zum Rassismus
beispielsweise wird berichtet, dass "einige kirchliche Frauengruppen
nicht wahrnehmen, dass es Rassismus gibt (...), wodurch sie die
Anschuldigungen von Ureinwohnerinnen, schwarzen Frauen und
Frauen aus Minderheiten best„tigen, Frauen aus Mehrheitskulturen
k”nnten genauso unterdrckerisch sein wie M„nner". Im Zusammenhang
mit wirtschaftlicher Ungerechtigkeit heisst es: "In allen Regionen
verwiesen viele Kirchen darauf, dass Armut, wirtschaftliche Zw„nge
und begrenzte Ressourcen gr”ssere Priorit„ten seien als die Anliegen
der Frauen. Diese Antwort enthllt ein mangelndes Bewusstsein davon,
dass dies alles ja Frauenanliegen sind und dass gerade die Frauen oft
einen unverh„ltnism„ssig hohen Anteil der Lasten tragen, die durch die
wirtschaftliche Ungerechtigkeit verursacht werden."
Der Bericht Lebendige Briefe stellt die Bereiche im kirchlichen Leben
heraus, in denen der uneingeschr„nkten Beteiligung von Frauen die
deutlichsten Grenzen gesetzt sind: das ordinierte Amt,
Entscheidungsprozesse und Machtstrukturen der Kirche sowie
theologische Ausbildung (Mangel an Stipendien, weiblichen Lehrkr„ften
und Kursen, die Theologie aus der Perspektive von Frauen behandeln).
Und er gibt einen kurzen šberblick ber die Sttzpfeiler der m„nnlichen
Kontrolle, darunter die "hierarchische, patriarchale Familie" sowie
repressive Theologie und Interpretationen der Bibel.
(zweiter Teil folgt)
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