From the Worldwide Faith News archives www.wfn.org


Die Aktualitaet der Rechtfertigungslehre angesichts


From FRANK_IMHOFF.parti@ecunet.org (FRANK IMHOFF)
Date 08 Jun 1998 12:41:37

 von Globalisierung und Neoliberalismus
LWB-Praesident Christian Krause

Genf, 8. Juni 1998 - Die Frage der Rechtfertigung und die Forderung nach
Schuldenerlass fuer den Sueden haengen nach Meinung des Praesidenten des
Lutherischen Weltbundes (LWB), Christian Krause, zusammen. In Blick auf
eine Aktualisierung der Rechtfertigungslehre sagte der Braunschweiger
Landesbischof zum Auftakt der LWB-Ratstagung am Montag, 8. Juni, in Genf:
"Die Entschuldung bezieht sich nicht nur auf das individuelle Heil des
einzelnen, sondern daraus ergibt sich sofort eine Verpflichtung, die
erfahrene Freiheit von der eigenen Last auch dem eigenen Schuldner
weiterzugeben. Insofern waere ein europaeisches Christentum, das sich auf
eine individualistische Deutung der Rechtfertigung zurueckzoege, ohne die
Konsequenzen fuer einen Schuldenerlass gegenueber den Voelkern des Suedens
zu erwaegen, ein heuchlerisches Christentum." Jede Zeit, so Krause, bringe
"eigene Formen von Gnadenlosigkeit hervor". Die Rechtfertigungstheologie
habe daher auch heute nichts von ihrer Aktualitaet eingebuesst. Der
LWB-Praesident verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die
Auswirkungen der Globalisierung und des Neoliberalismus.

Krause: "Der Begriff der Globalisierung markiert, dass die weltweit
zunehmende Verbundwirtschaft und -technologie unser Bewusstsein in allen
ihren Ambivalenzen erreicht hat. In der vernetzten Welt globaler
Verbundwirtschaften ist Perfektion Voraussetzung, und Leistungsfaehigkeit
ist dafuer die Schluesselressource. Wer den Ueberblick ueber das System
verliert, faellt heraus. ... Was aber geschieht mit denen, die ihre
Leistung nicht mehr oder nicht mehr im vollen Umfang erbringen?" Der
LWB-Praesident verwies auch auf die Auswirkungen des Neoliberalismus, wie
er sie im April dieses Jahres waehrend seiner Pastoralreise nach
Lateinamerika und in die Karibik eindruecklich vor Augen hatte: "Die
Entwicklung in Lateinamerika nach dem Ende der Militaerdiktaturen und dem
Umbruch nach 1989 hat dazu gefuehrt, dass die Weltbank eine extreme und
radikale Oeffnung fuer internationale Maerkte bei gleichzeitiger
Zuruecknahme     und Privatisierung staatlicher Leistungen vorschreibt und
davon die weitere Vergabe von Krediten abhaengig gemacht hat. Die Frage
scheint mir nicht zu sein, ob es eine Alternative zum Markt gibt, sondern
wie stark oder wie schwach ein solcher Wandel sozialpolitisch abgefedert
wird."  So vergroessere sich in Lateinamerika aufgrund des Neoliberalismus
der Gegensatz zwischen Arm und Reich, waehrend der Mittelstand verschwinde.
Als Beispiele nannte Krause Bolivien und Teile Brasiliens, wo
"buergerkriegsaehnliche Zustaende" herrschten, "weil zehn Prozent der
vermoegenden Oberklasse es nicht fertig bringen, eine Landreform
einzuleiten, die den Namen verdienen wuerde".

Auf diesem Hintergrund wachse sowohl Hoffnungslosigkeit als auch die Angst
vor der Sinnlosigkeit. Krause: "Das Leben wird immer schneller.

Eine andere Signatur ist die Infragestellung des Seinsrechts durch die
Vorherrschaft des Systems der Konkurrenz. Beides trifft sich, wo
Langsamkeit, Alter, Behinderung oder Krankheit als Merkmale der
aussterbenden Art stigmatisiert werden. Dadurch findet ein globaler
Ausleseprozess statt, in dem nur die vermeintlich Besten bestehen werden."
Fuer Krause ist die soziale Frage "das Feld, auf dem die Auseinandersetzung
um das Seinsrecht stattfindet". Gerade gegenueber dem Sozialdarwinismus und
dem Motto "rette sich, wer kann" vermittle die christliche Mission ein
Seinsrecht, "das von einer Instanz jenseits der Instanzen zuerkannt wird,
und zwar bedingungslos, charis - umsonst, sola gratia - allein aus Gnade".

In diesem Zusammenhang verwies der LWB-Praesident auf das Sozialwort der
Deutschen Katholischen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in
Deutschland unter dem Titel "Fuer eine Zukunft in Solidaritaet und
Gerechtigkeit". In dem Sozialwort werde daran erinnert, dass "der
demokratische Sozialstaat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht
schaffen kann. Die Gerechtigkeit, deren hoechste Form die Gnade ist gehoert
wesentlich dazu".

***
Lutherische Welt-Information (lwi)
Deutsche Redakteurin: Karin Achtelstetter
E-mail: ka@lutheranworld.org
http://www.lutheranworld.org/


Browse month . . . Browse month (sort by Source) . . . Advanced Search & Browse . . . WFN Home